Es gibt keine Schulmedizin.

Warum der Begriff „Schulmedizin“ aus dem modernen Wortschatz gestrichen gehört.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind viele bahnbrechende, medizinische Fortschritte gemacht worden. Beispielsweise die Begründung der Chemotherapie, die Entwicklung des Antibiotikums, die erste Impfung gegen Diphterie oder die Umsetzung des Elektronikmikroskops, mit dem erstmals Viren beobachtet werden konnten. Viele dieser Entdeckungen kollidierten allerdings später mit dem propagierten Weltbild der Nationalsozialisten. Vor Viren und Bakterien waren alle Menschen gleich, unabhängig von „Rasse“ und Herkunft, was mit dem Gedanken des „überlegenen Herrenmenschen“ nicht vereinbar war. Und so wurde die wissenschaftliche Medizin immer häufiger als „verjudete Schulmedizin“ diffamiert, während gleichzeitig eine „alternative Heilkunde“ gefördert wurde – eine Medizin, die eigens dem „deutschen Volkskörper“ dienen müsse. 

Diese neue Sicht auf die Medizin gipfelte 1933 in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt, wo Reichsärzteführer Gerhard Wagner die „häufige Überlegenheit“ alternativer Heilkunde gegenüber der „verjudeten Schulmedizin“ verkündete. 1935 wurde schließlich bei der Reichstagung der deutschen Volksheilverbände in Nürnberg die „Reichsarbeitsgemeinschaft für eine Neue Deutsche Heilkunde“ vorgestellt. Dazu gehörten u.a. der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte, der Kneipp-Ärztebund, der Reichsverband der Naturärzte und die Vereinigung Anthroposophischer Ärzte. 

Die naturheilkundlich orientierten Ärzte aller Richtungen sollten sich zusammengefasst organisieren und dabei ihre Methoden mit der Schulmedizin verschmelzen. Ziel war eine wörtlich zu nehmende „Neue Deutsche Heilkunde“, die die völkisch-rassistische Ideologie des Nationalsozialismus als Gegensatz zur „jüdisch-marxistisch“ geprägten „Schulmedizin“ etablieren sollte. 

Illustration aus dem „Stürmer“, 1936. Quelle: Deutsches Ärzteblatt Archiv.

Dass esoterische Methoden bei den Nazis hoch im Kurs lagen, bewies auch Rudolf Heß, der dafür warb, Ärzte und Heilpraktiker mögen „im gemeinsamen Dienst an der Gesundheit der Nation“ zusammenarbeiten. 1937 übernahm er sogar die Schirmherrschaft des Homöopathischen Kongresses in Berlin, um „das Interesse des nationalsozialistischen Staates an allen Heilweisen, die der Volksgesundheit dienen, zum Ausdruck zu bringen“ und zugleich „die Ärzteschaft insgesamt aufzufordern, auch bisher abgelehnte Heilmethoden unvoreingenommen zu prüfen“.

Nichtsdestotrotz konnte sich die „Schulmedizin“ durchsetzen – aus offensichtlichen Gründen: Medizin wirkt. Esoterischer Mumpitz nicht. Führende Vertreter der „Schulmedizin“ (die aller Diskreditierungsversuche zum Trotz die Mehrheitsmeinung der deutschen Ärzte repräsentierte) forderten mutig, sich wieder mehr konstruktiver Forschung zuzuwenden. Dabei erhielten sie sogar Unterstützung von manchen Rasse-Ideologen, die in der Degradierung medizinischen Fortschritts – trotz jüdischer Beteiligung – eine Geringschätzung deutscher Studienqualität befürchteten. Lieber wollte man die „über jeden Zweifel erhabenen“ wissenschaftlichen Leistungen der deutschen Hochschulen proklamieren.

Fun Fact: Als der herkömmlichen Wissenschaft überlegen galt damals auch eine „arische Physik“, die gegen die „Schulphysik“ – speziell die „verjudeten“ Relativitäts- und Quantentheorien Einsteins und Borns den „unverbildeten deutschen Volksgeist“ setzte. Kein Wissenschaftler könnte heutzutage noch von „Schulphysik“ reden, ohne sich völlig lächerlich zu machen. Auch die „arische Mathematik“ und die „deutsche Chemie“ sind aus der Wissenschaft und dem Sprachgebrauch verschwunden. Allein die „Schulmedizin“ hat als Begriff die Zeit überdauert – auch weil Anhänger esoterischer Pseudomedizin daran festhielten.

Der Begriff Schulmedizin wird heute natürlich ohne den Zusatz „verjudet“ benutzt, allerdings wird das Wort weiterhin eher abfällig verwendet.

Und so atmet diese Bezeichnung, wenn sie von Homöopathiefreunden, Heilpraktikern und Esoterikern verwendet wird, durchaus noch den Geist des Nationalsozialismus – denn ohne den Aufgezählten pauschal eine nationalistische Gesinnung zu unterstellen: Die Feindseligkeit gegenüber medizinischer Wissenschaftlichkeit ist der gemeinsame Nenner. Hinzu kommt die zumindest teilweise Sympathie für völkisch angehauchte, rechtsesoterische Ideologien, wie die Anastasia-Bewegung oder die recht offen antisemitische Neue Germanische Medizin aka Germanische Heilkunde.

Selbst die klischeehafte „informierte“ Impfgegener-Mutti, die ihren Kindern kein „Giftcocktail“ von „Big Pharma“ spritzen lassen will, hat ihren Ursprung in nationalsozialistischer Propaganda. Ein Paradebeispiel findet sich wie so oft im Hetzblatt „Der Stürmer“. Dort wird eine deutsche Mutter mit ihrem Baby gezeigt, wie sie vor dem „naturfernen Mediziner“ steht (der eine Spritze hält und eine stereotypische Hakennase hat) und sagt: „So ist mir sonderbar zumut – Gift und Jud tut selten gut.“

Illustration aus dem „Stürmer“. Quelle: psiram.com

Eine weitere Gemeinsamkeit wäre die Leugnung der Herdenimmunität. Diese war den Nazis suspekt, weil die „Herde“ in ihrer Definition auch „lebensunwürdige“ Individuen umspannt und somit größer und im Grunde bedeutender ist als der „reine deutsche Volkskörper“. Das durfte nicht sein. „Untermenschen“ konnten nicht zur Gesundheit der „Herrenrasse“ beitragen. Und so schwingt in diesem Glauben ein pervertiertes darwinistisches Denken mit, nach dem die vermeintlich Schwachen natürlich ausgelesen werden – auch wenn die Nazis diesbezüglich auf grausame Weise  „nachgeholfen“ haben.

Dieses „überlegene“ Denken hat jedoch bis heute überdauert. Wer in „impfkritischen“ bzw. „alternativmedizinischen“ Foren und Gruppen in sozialen Netzwerken mitliest, wird sehr oft zwei bemerkenswerte Punkte feststellen: die Verharmlosung von „schulmedizinisch definierten“ Krankheiten sowie kalten Zynismus gegenüber Kranken – frei nach dem Motto: „Die bist im weitesten Sinne selbst Schuld an deiner Krankheit“. 

Fazit: Es gibt keine Schulmedizin, erst recht nicht im Sinne eines Gegenstücks irgendwelcher Alternativmedizin. Es gibt Medizin und es gibt keine Medizin. Der Begriff „Schulmedizin“ ist ein abwertender Kampfbegriff von Vertretern esoterischer Praktiken und wurde im Nationalsozialismus gesellschaftlich verankert. Das Wort „Schulmedizin“ gehört deshalb aus dem modernen Wortschatz gestrichen.

Gerhard Wagner im Deutschen Ärzteblatt, 1933. Quelle: Deutsches Ärzteblatt Archiv.

Quellen und weiterführende Informationen zu diesem Thema:

Der Standard – Wieviel Nazi-Ideologie steckt im Begriff Schulmedizin?

Jüdische Allgemeine – Schulmedizin und arische Physik

Deutsches Ärzteblatt – Medizin im Nationalsozialismus

Dissertation über „Die Auswirkungen der NS-Doktrin auf Homöopathie und Phytotherapie“

Morgellons: Würmer unterm Aluhut

Morgellons. Dieser Begriff fällt nun immer häufiger in Querdenkerkreisen. Ein weiteres Anzeichen, dass Pandemieleugner einen an der Klatsche haben. Im wahrsten Sinne des Wortes: Menschen mit der „Morgellons-Krankheit“ geben an, dass Fasern durch ihre Haut wachsen oder Parasiten in ihnen Einfluss auf ihre Gedanken ausüben. In der Medizin wird dies auf eine psychiatrische Störung als Variante des Dermatozoenwahns zurückgeführt. Das ist die wahnhafte Vorstellung, dass sich Lebewesen unter der Haut befinden. Die Patienten sind oft von Juckreiz, Schmerzen und Angst geplagt. Beweise für eine reale Erkrankung durch Parasiten liegen allerdings nicht vor. Die Betroffenen beeindruckt das nicht. Sie glauben fest daran, von irgendwelchen „Lebewesen“ befallen und geplagt zu sein. Textil- und Fruchtfasern, Staubpartikel oder einfache Fusseln halten dann als Beweise für die Existenz der Morgellons her. Eine psychiatrische Behandlung lehnen die Patienten in der Regel leider ab. Insbesondere, wenn sie von anderen Geplagten und esoterischen Wunderheilern in ihrem Wahn bestätigt werden. Im Zeitalter des Internets mutierte diese Wahnvorstellung zudem immer mehr zu einer Verschwörungsfantasie, nach der Morgellons im Labor erschaffene Parasiten seien, die von der Regierung verteilt werden, um Menschen damit zu kontrollieren. Diese angeblich mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Fadenwürmer sollen sich im Trinkwasser befinden, über Chemtrails gestreut werden und neuerdings – wie könnte es auch anders sein – auch in Masken und auf Coronateststäbchen vorhanden sein. Kein Wunder, dass in dieser goldenen Zeit der Fakenews auch solche Schreckensmeldungen gierig aufgenommen und für wahr gehalten werden. Wer an Todesspritzen und Chemtrails glaubt, wer von der Existenz von Reptioliden überzeugt ist, Angst vor 5G hat und wissenschaftliche Erkenntnisse abstreitet, der glaubt auch, dass ein Kochbuchautor und ein Schlagersänger uns vor der Coronadiktatur retten wollen – oder dass sich Morgellons in Masken befinden:

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Attila Hildmann: Gefangen im Wahn

Attila Hildmann ist ein hoffnungsloser Fall. Er predigt über seinen Telegram-Kanal täglich die wahnwitzigsten, widerlichsten, absurdesten Verschwörungstheorien, verbreitet Angst und Hetze, bedient sich ekligster antisemitischer Verschwörungsmythen und verliert offensichtlich immer mehr den Bezug zur Realität. Ach ja, und er vergleicht sich mit Hitler. Weil der laut Attila ein Segen für Deutschland war, im Vergleich zu Angela Merkel. Sitzt sein Aluhut zu eng? Definitiv. Allerdings ist diese belustigende Frage längst überholt. Attila trägt heute mindestens einen Bleihelm, damit die reptiloiden Overlords nicht mithilfe von Hagebuttenstrahlen seine Gedanken kontrollieren. Oder so. Die viel bessere Frage lautet daher: Ist der Mann völlig irre? Und warum hilft ihm niemand?

Sein Lieblingsthema – oder viel mehr schon Lebensinhalt – ist nachwievor die Corona-Pandemie. Oder wie er sie nennt: Plandemie. Er vertritt nämlich wie so erschreckend viele Pandemie-Leugner die These, dass Corona eine Inszenierung der sog. Eliten ist, um eine Diktatur zu errichten und schließlich 7 Milliarden Menschen mit Impfungen zu töten. Wer hinter diesen Eliten steckt, ist dabei nicht immer klar. Mal sind es Satanisten, mal Kommunisten, Bolschewisten, Zionisten und manchmal auch Vampire. Transsexuelle Vampire, um genau zu sein. Vielleicht aber auch alle zusammen. Bill Gates gehört selbstverständlich auch dazu und steckt mit Angela Merkel unter einer Decke. Weil Angela Merkel angeblich Jüdin ist. Unter anderem. Denn wie alle bösen Eliten ist sie gleichzeitig auch Bolschewistin und geschlechtsumgewandelt, also wohl insgeheim ein Mann.

Des Weiteren ist der Ausbau des 5G-Netzes ebenfalls Teil der Corona-Agenda. Natürlich. Attila vertritt nämlich die Verschwörungsfantasie, die besagt, dass Covid-19 erst durch den Einsatz von 5G ausgelöst wird. Und zwar indem die Strahlung mit geheimnisvollen Nanopartikeln in unserem Körper reagieren. Nanopartikel, die jahrelang über Chemtrails versprüht wurden und dadurch alle Menschen zu Zielobjekten von Gedankenkontrolle, Folter oder eben 5G macht, um Covid-19 zu aktivieren. Auf der anderen Seite gibt es das Virus aber dann doch noch irgendwie. Attila behauptet nämlich gerne, dass man erst durch den Test auf Covid-19 mit dem Virus infiziert wird. Oder man bekommt einen Chip implantiert. Oder beides. Da hat sich Attila noch nicht festgelegt.

Und wenn das Ganze nicht schon absolut bekloppt wäre, setzt Attila, die alte Kabelklemme, noch einen drauf, indem er sich hingebungsvoll als Retter des Abendlandes hinstellt. Er, der Samurai-Krieger der Herzen, Rächer aller Witwen und Begatter von Daisho-Groupies, hat sich auf die Reichsfahnen geschrieben, Deutschland zu retten. Reichsfahnen deshalb, weil die alte Butterbirne nicht nur antisemitische Gruselstories ins Internet kotzt, sondern auch der Überzeugung ist, dass das Deutsche Kaiserreich nie aufgehört hat zu existieren. Völlig in seiner Reichsbürgerkirmeswelt gefangen, ergötzt sich der peinliche Plumpsklopirat dann regelmäßig an martialischen Bildern der Kaiserzeit und fantasiert darüber, wie er als Reichskanzler alle „Schuldigen, die Corona zu verantworten haben“ exekutieren lässt…

Viel „Spaß“ beim Stöbern durch die Screenshots:

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