Eine Auseinandersetzung mit Dr. Wodargs verharmlosendem Vergleich von Covid-19 mit der saisonalen Grippe.
Ein Gastbeitrag von Hendrik Lang.
Bereits seit einigen Wochen verwenden Menschen, die die Corona-Krise als weniger bedrohlich betrachten, die Sterblichkeitsstatistik Euromomo. Zuerst wurde sie unter anderem von Dr. Wolfgang Wodarg angeführt, der mit ihrer Hilfe darstellen wollte, dass Infektionen mit SARS-CoV-2 Teil der jährlich üblichen, „saisonalen“ Grippe seien. Die Pandemie, so Wodarg und andere, wäre niemals aufgefallen, wenn es nicht das neue, an der Charité Berlin entwickelte Testverfahren gegeben hätte. Die Euromomo-Statistik weise dementsprechend nicht nur keine erhöhte Sterblichkeit auf, die diesjährige Grippesaison sei sogar vergleichsweise milde ausgefallen. Tatsächlich konnte man lange Zeit keinen Anstieg der Sterblichkeit in den dargestellten Ländern und Regionen Europas (für Details der teilnehmenden Länder siehe http://www.euromomo.eu) erkennen, die Sterberaten waren auch relativ gering im Vergleich zu den Vorjahren.
Grafik 1 zeigt hierbei sehr gut, wie zu Beginn jedes Jahres in einem bestimmten, zeitlich nahezu gleichen Zeitraum die Sterblichkeit (grün) für einige Wochen ansteigt (und von der Grundlinie, rot, abweicht) und anschließend wieder abnimmt.
Tatsächlich sieht man deutlich die Grippewelle von 2017/18 mit einem besonders hohen und langen Anstieg, der die Spitzenwerte dieses Jahres deutlich übersteigt. Jene Grippesaison ist auch der Ursprung für die oft zitierten 25.000 Grippetoten, die in Kontrast zu den vergleichsweise wenigen Corona-Toten gesetzt werden. Anmerkung: Es sterben nicht, wie oft behauptet, jedes Jahr 25.000 Menschen an der Grippe. Das war 2017/18 der Fall und ein extremes Ergebnis. Die Abweichung von der Grundlinie war dieses Jahr sehr gering.
Grafik 2 verdeutlicht noch einmal den Wirkungszeitraum der jährlichen Grippe. Hier wurde in blau der Zeitraum von der ersten bis zur zehnten Kalenderwoche unterlegt, in der die Sterblichkeit im Winter meist rapide ansteigt. In den letzten Wochen ist allerdings in allen Jahren ein Rückgang der Sterblichkeit zu sehen.
Am 09.04.2020 veröffentlichte Euromomo die Statistik für die 14. Kalenderwoche, die die Grundlage für alle Grafiken bildet. Deutlich sichtbar ist, dass es in den letzten zwei Wochen zu einem steilen Anstieg der Sterblichkeit kam. Zum Vergleich wurden hierfür die jeweils 10. bis 14. KW jedes Jahres rosa unterlegt. In allen Jahren zuvor war hier ein deutlicher Rückgang der Sterblichkeit bis zurück auf die Grundlinie zu erkennen. Nur die harte Grippewelle 2017/18 ist etwas verzögert, aber auch hier kann man im rosa unterlegten Bereich den Rückgang sehen. Man kann aber für das Jahr 2020 erkennen, dass es einen vollkommenen untypischen, steilen Anstieg gibt, wie er weder in dieser Höhe und vor allem zu dieser Jahreszeit nie zuvor gesehen wurde.
Grafik 3 zeigt einen vergrößerten Ausschnitt aus diesem Jahr. Deutlich erkennbar ist die unauffällig verlaufende Grippewelle dieses Jahres und wie sich die Kurve in der 10. KW der Grundlinie wieder annähert – so wie in den Jahren zuvor. Dies sind die Werte, die uns Dr. Wodarg gezeigt hat, die auch weiterhin als Sharedpics verbreitet werden. In dieser Zeit gab es zwar schon die ersten Corona-Toten, aber diese wurden durch die abflauende Grippewelle so stark ausgeglichen, dass ihr Effekt kaum wahrnehmbar war. Jetzt haben wir eine andere Situation. Die Sterblichkeit ist in dieser Woche weit über 65.000 gestiegen, was eine Abweichung von fast 28% von der Grundlinie darstellt. In den teilnehmenden Ländern herrscht eine auf alle Altersgruppen gerechnete Sterblichkeit, die um beinahe 28% höher ist als normal und damit Werte erreicht, die mit der Sterblichkeit während der harten Grippewelle 2017/18 vergleichbar sind. Wie ist das zu erklären?
Die Grippe ist es allerdings nicht. Grafik 2 zeigt mehr als deutlich, dass die jährliche Grippesaison bereits vorbei ist. Die aktuelle Situation lässt sich nicht damit erklären, dass COVID-19 eine „normale saisonale Grippe“ ist und wir nur einen neuen Test haben, der die Infektionen erkennt. Es sterben Menschen in ungewöhnlichen Dimensionen und das Sterben lässt sich durch Testverfahren nicht erklären. Die neuesten Zahlen dieser Statistik, die von Dr. Wodarg erst als Beleg für seine relativierenden Behauptungen angeführt wurde, widerlegen seine Behauptungen und zeigen die Ernsthaftigkeit der Lage.
Es wird sich zeigen, wie die Statistik sich weiter entwickelt. Die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland und großen Teilen Europas stagniert oder sinkt sogar aufgrund der drastischen Maßnahmen der verschiedenen Staaten. Das bedeutet aber, dass die Zahl der Infektionen weiterhin, wenn auch verlangsamt, steigt, aktuell noch immer schneller als die Menschen genesen. Es ist zu erwarten, dass die Sterblichkeit noch eine Weile auf hohem Niveau bleiben wird, was deutlich macht: Eine einfache saisonale Grippe ist das definitiv nicht.